Wer Angst hat, die Digitalisierung und die Entwicklungen der künstlichen Intelligenz könnten ihm den Arbeitsplatz rauben, wurde von vielen Menschen bisher belächelt. So schnell ginge das Ganze gar nicht, sagt man. Doch seit dem 30. April 2025 hat das beliebte Casino St. Moritz zu, und zwar ganz plötzlich.
Zumindest kommt die Pressemitteilung für viele Menschen vor Ort aus dem Nichts. Das beliebte Casino hatte noch vor kurzem den Slogan "Wo die Welt sich trifft - und spielt." auf seiner Website zur Schau gestellt.
Online Casinos machen es ihren Nutzerinnen und Nutzern eben leicht: Bonusangebote für neue Spieler, jederzeit verfügbare Live-Tische, Spiele in HD-Qualität mit echten Dealern. Und das alles funktioniert bequem vom Handy aus. Dazu kommen moderne Zahlungsmethoden, blitzschnelle Auszahlungen und der Verzicht auf den Dresscode, die Anfahrt und Öffnungszeiten. Es überrascht also kaum, dass viele das Angebot als angenehmer empfinden als den Besuch eines klassischen Casinos.
Dabei ist es nicht einmal unbedingt das Spiel selbst, das sich verändert hat. Roulette bleibt Roulette, Blackjack bleibt Blackjack. Was sich verändert hat, ist die Art, wie wir Zugang dazu haben und welche Erwartungen wir damit verknüpfen. Komfort, Mobilität und Geschwindigkeit sind in der digitalen Welt längst zu Standards geworden. Das Glücksspiel zieht da nur nach.
Heute steht dort stattdessen "Wo die Welt sich traf - und spielte", ein trauriger Nachgedanke an frühere, glorreichere Zeiten. Denn die Welt des Glücksspiels sieht mittlerweile ganz anders aus, als sie es noch vor wenigen Jahren war.Noch vor zehn Jahren galten Orte wie das Casino St. Moritz als Inbegriff von Glamour, internationalem Flair und diskretem Luxus. Man reiste aus London, Dubai oder New York an, um in den Alpen stilvoll zu spielen. Anzugträger, Abendkleider, ein Glas Champagner am Spieltisch – das war Teil des Versprechens. Heute wirkt dieses Bild wie eine Postkarte aus einer anderen Zeit. Denn die Branche hat sich verändert. Radikal. Immer mehr Gäste, die früher in das mondäne Etablissement in den Schweizer Bergen kamen, spielen heute auf dem Handy. Nicht selten sogar während sie im Zug sitzen, im Büro eine Pause machen oder abends auf dem Sofa liegen. Und das bedeutet: Die alten Spielbanken geraten zunehmend unter Druck.
Der Wandel hin ins Online Casino
Während die Spitzenreiter des Glücksspiels vor wenigen Jahren noch klassische Casinos und Spielhallen waren, blühen heute die Online Casinos auf. Die Top Casinos in der Schweiz sind heute nicht mehr begehbar, sondern stattdessen virtuell. Wer trotzdem auf der herkömmlichen Erfahrung beharrt, lieber mit vornehmem Dresscode, zu später Stunde und mit der entsprechenden Anfahrt spielt, wird in St. Moritz leider nicht mehr fündig.Denn auch dort hat man diesen Wandel bemerkt. Noch vor wenigen Jahren waren die großen Turniere ein Magnet für internationale Gäste. Events wie das "High Roller Weekend" oder das Silvester-Galadinner waren regelmäßig ausgebucht. Doch zuletzt blieben mehr und mehr Spieler aus. Die Säle wurden leerer, die Zahl der Spielteilnehmer sank.Das Spielverhalten der Menschen hat sich eben einfach verändert. Es geht nicht mehr um das gesellschaftliche Ereignis oder das Ambiente, sondern um Verfügbarkeit, um Tempo und um ständige Erreichbarkeit. Wer Lust auf Blackjack oder Roulette hat, will heute nicht mehr ins Auto steigen oder in ein Flugzeug steigen. Ein Klick auf die Casino-App reicht. Für die Betreiber des Casino St. Moritz bedeutete dieser Wandel einen schleichenden Abschied von einem Geschäftsmodell, das jahrzehntelang funktioniert hatte. Selbst Anpassungsversuche, wie etwa eine modernere Website, digitale Buchungssysteme oder Werbekampagnen auf Social Media, konnten den Trend nicht mehr aufhalten. Die Nachfrage verlagerte sich endgültig ins Netz. Und mit ihr das Kapital, die Investitionen, die Kundschaft. Laut der offiziellen Website des Casino St. Moritz basierte die Entscheidung auf wirtschaftlichen Überlegungen "insbesondere aufgrund der herausfordernden Marktsituation im Online-Bereich", sowie den saisonalen Schwankungen an diesem besonderen Standort und der grundlegende Mangel an langfristiger finanzieller Perspektive.
Das Ende einer Ära
Die endgültige Schließung erfolgte ohne großes Tamtam. Kein Galaabend, kein letztes Turnier, keine Abschiedsworte vom Direktor. Nur ein nüchtern formulierter Hinweis auf der Website und ein paar vereinzelte Artikel in der Lokalpresse. Dabei war das Casino über Jahrzehnte hinweg ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in St. Moritz, und zwar nicht nur für Touristinnen und Touristen, sondern auch für die Menschen vor Ort. Viele, die dort arbeiteten, waren über Jahre hinweg Teil dieses Mikrokosmos. Croupiers, Barkeeper, Reinigungskräfte und Rezeptionistinnen waren nicht nur Angestellte, sondern trugen zu dem ganz besonderen Flair des Hauses bei. Nun verlieren sie ihre Arbeitsplätze. Und mit ihnen verschwindet auch ein Stück Identität der Region. Offiziellen Berichten zufolge sind die Arbeitsplätze von 31 Menschen von der Schließung betroffen.
Angst bei anderen Casinos
Die Geschichte des Casino St. Moritz lässt sich aber auch als Beispiel für ein viel größeres Phänomen lesen: die Auswirkungen der digitalen Transformation auf traditionelle Geschäftsmodelle. Ähnlich wie in der Fertigung, im Handel oder im Energiesektor geraten auch Anbieter in der Freizeit- und Unterhaltungsbranche unter Druck, wenn sie nicht frühzeitig auf digitale Trends reagieren. Automatisierung, verändertes Nutzerverhalten und der steigende Anspruch an permanente Verfügbarkeit fordern ein radikales Umdenken – und zeigen, wie schnell ein über Jahrzehnte bewährtes Konzept überholt sein kann. Auch aus technologischer Sicht bietet das Schicksal des Casinos wichtige Impulse für andere Branchen. Die nahtlose Verfügbarkeit von Spielen über mobile Endgeräte, die Integration moderner Bezahlsysteme und KI-basierter Nutzerführung im Online Casino sind Beispiele dafür, wie digitale Prozesse effizient, nutzerzentriert und skalierbar aufgebaut werden können.Unternehmen in klassischen Industrien könnten daraus lernen – etwa bei der Entwicklung digitaler Serviceplattformen, dem Einsatz von Echtzeit-Daten oder dem Aufbau interaktiver Kundenschnittstellen.Der Wandel in St. Moritz ist damit nicht nur ein kultureller Einschnitt, sondern auch ein Weckruf für viele andere Bereiche, in denen Digitalisierung bisher zu langsam voranschreitet. Das Beispiel St. Moritz könnte Schule machen. Denn nicht nur in der Schweiz kämpfen klassische Spielbanken ums Überleben. Auch in Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien beobachten Branchenexperten einen ähnlichen Trend. Viele Häuser reagieren mit Konzepten, die hybrides Spielen ermöglichen: Eine Verbindung von vor Ort Erlebnissen und digitalen Komponenten, etwa durch Streaming-Events oder mobile Apps. Doch ob das reicht, bleibt offen. Besonders die jungen Generationen gelten als schwer zu erreichen. Wer heute 25 ist, hat vielleicht nie in einem echten Casino gespielt, wohl aber hunderte Male auf seinem Smartphone. Der Glanz der Spielbank hat für viele seinen Reiz verloren. Stattdessen zählen andere Werte: Flexibilität, Auswahl, Schnelligkeit. Und in St. Moritz? Was bleibt, ist ein leeres Gebäude, ein wehmütiger Slogan und viele Geschichten. Vielleicht wird das Casino St. Moritz irgendwann neu erfunden. Vielleicht nicht als Spielbank, sondern als Veranstaltungsort, Museum oder Hotel. Vielleicht wird es aber auch ein Mahnmal für die Geschwindigkeit, mit der sich unsere Welt verändert. Und für die leisen Abschiede, die manchmal mehr über unsere Zeit sagen als laute Neuanfänge.