Ein Gesetz für offene Datenräume – mit Nebenwirkungen
Der
europäische Data Act tritt noch diesen Monat in vollem Umfang in Kraft. Während das für die meisten Menschen quasi keinen Impact hat, betrifft es die Industrie in massivem Ausmaß. Alle bisherigen Datenpraktiken werden auf den Kopf gestellt. Heruntergebrochen bedeutet der Data Act, dass alle Maschinendaten aus Industrieanlagen, KI-gesteuerten Systemen und mehr nicht mehr geheim gehalten werden dürfen.
Stattdessen müssen all diese Daten Dritten zur Verfügung gestellt werden - egal ob Dienstleister, Forscher oder sogar Wettbewerber. Die Idee dahinter ist, dass so Innovation gefördert wird und ein fairer Markt mit klaren Datenrichtlinien erschaffen werden kann. Ein ambitioniertes Ziel, mit ungleich verteilten Nebenwirkungen für Industrietreibende unterschiedlicher Größen.
Die Industrie gerät unter Druck
Was zunächst nach einem noblen Ziel und Grundboden für Fortschritt klingt, bringt viele Industrieunternehmen - besonders Kleinunternehmer - in eine prekäre Lage. Auf der einen Seite begrüßen die meisten Betriebe die Rechtssicherheit im Umgang mit Daten. Durch den Data Act gibt es nun nicht nur eine klare, sondern auch simple Richtlinie, die leicht umzusetzen und klar verständlich ist. Auch die Einsicht in fremde Datensätze der Wettbewerber klingt zunächst interessant.
Doch das läuft in beide Richtungen. Auch die eigenen Geschäftsgeheimnisse und sensiblen Daten liegen allen Wettbewerbern potentiell offen.
Denn auch wenn der Data Act zunächst sehr eindeutig und simpel formuliert erscheint, lässt er viel Interpretationsspielraum. Wo endet das Geschäftsgeheimnis und wo beginnt die Datenteilungspflicht? Die Frage, welche Daten nun als “nutzergeneriert” gelten und welche nicht, ist nicht leicht zu beantworten. Fakt ist, ein Großteil der Daten gehört nun nicht mehr den Betreibern. Und “gleiches Recht für alle” bedeutet nicht zwangsläufig faire Bedingungen für alle Unternehmen.
Technische Herausforderungen und Unsicherheiten
Und auch auf der technischen Seite sieht es nicht viel einfacher aus. Die meisten Industrieanlagen sind nicht darauf ausgelegt, Daten an jeder Schnittstelle gezielt und strukturiert weiterzugeben. Oftmals fehlen diese Schnittstellen sogar gänzlich oder Daten werden überhaupt nicht erhoben, wo es bislang nicht nötig war.
Gerade hier sind Kleinunternehmer besonders betroffen. Während es für sie sehr viel attraktiver ist, Daten von etablierten Wettbewerbern analysieren zu können, ist die Aufrüstung aller Systeme sehr kostspielig und wirtschaftlich nicht immer direkt umsetzbar. Die Folge sind potentielle Sanktionen, die besagte Kleinunternehmer oft unverhältnismäßig stärker treffen und teilweise sogar existenzbedrohend sein können. Auch das Personal, besonders Datenschutzbeauftragte, müssen geschult werden und plötzlich Entscheidungen treffen, welche internen Datenflüsse weitergegeben werden müssen. Abgesehen von der reinen Arbeitslast sind das auch schwere Entscheidungen, die vor der Führungsriege gerechtfertigt werden müssen.
Strategien und Schutzmechanismen
Einige Konzerne reagieren bereits. Interne Daten-Hubs werden kreiert, Daten werden anonymisiert oder pseudonymisiert, um weniger preisgeben zu müssen und Daten-Kooperationen werden initiierten um gezielt geteilte Datenmärkte zu stärken. Auch hier sind Kleinunternehmen oft weniger gut vernetzt und geraten dadurch ins Straucheln. Das Ziel ist es, kooperative Standards zu schaffen, von denen die gesamte Industrie profitieren kann - ob das funktioniert, bleibt abzuwarten.
Aber auch rechtliche Schutzmechanismen werden verstärkt diskutiert. Zum Beispiel sogenannte "Data Sharing Agreements", die genau festlegen, wie lange, in welchem Umfang und zu welchen Zwecken Daten verwendet werden dürfen. So sollen Innovationsanreize geschaffen werden, ohne dass einzelne Anbieter ihr Geschäftsmodell preisgeben müssen.
Ein Blick über den Tellerrand: Digitale Räume im Kontrast
Während die Industrie sich dem Ruf nach maximaler Transparenz beugen muss, zeigen andere digitale Räume, dass es auch anders geht. Besonders auffällig ist das in Bereichen wie Blockchain, dezentralen Anwendungen oder digitalen Unterhaltungsdiensten, bei denen bewusst auf Datenverifikation verzichtet wird.
Ein Beispiel ist der Bereich des iGaming. Viele Plattformen operieren nach dem Prinzip des minimalen Datenzugriffs. Hier wird bewusst auf Identitätsprüfung verzichtet, und Transaktionen erfolgen oft pseudonym oder anonym – ein klarer Gegensatz zur Entwicklung in der Industrie.
In industriellen Plattformmodellen geht der Trend klar in Richtung vollständiger Transparenz – nicht nur aus Compliance-Gründen, sondern auch, weil der Data Act dies künftig verlangt.
Jeder Zugriff auf Maschinendaten muss dokumentiert, geteilt und nachvollziehbar sein. Umso interessanter wirkt im Kontrast der Ansatz bestimmter digitaler Infrastrukturen, die weitgehend auf Identitätsprüfung verzichten. Besonders auffällig ist das in Bereichen wie Blockchain-Anwendungen oder digitalen Unterhaltungsdiensten und iGaming, wo Transaktionen häufig auch so abgewickelt werden, dass
keine Datenverifizierung notwendig ist. Während industrielle Anbieter künftig Daten öffnen müssen, setzen andere bewusst auf das Gegenteil – eine Entwicklung, die neue Fragen nach Balance, Verantwortung und Kontrolle aufwirft.
Zwischen Transparenz und Kontrolle – ein Balanceakt
Auch wenn der Data Act die Industrie vor große Herausforderungen stellt, ist es dennoch ein wichtiger Schritt in Richtung Transparenz und Datensicherheit. Das Geschäft mit den Daten ist ein großer Markt und ohne eindeutige Regulierung wird sich von Unternehmersicht aus nichts ändern. Auch wenn einige Neuerungen und Vorgaben kleine Unternehmen vor Probleme stellt, profitieren sie letztendlich auch am meisten davon. Der Weg zu Datentransparenz und Marktfairness wird vorangetrieben - und damit auch Innovation.

Dennoch gibt es Daten, die unter allen Umständen geschützt werden müssen. Besonders sicherheitskritische oder personenbezogene Daten sind hochsensibel und benötigen klare Schutzmechanismen und viel Vorsicht im Umgang. Hier wird es auf die Fähigkeit der Unternehmen ankommen, klug zu differenzieren und mit den neuen Vorgaben umzugehen, ohne sich selbst zu entblößen.
Der Data Act zwingt Industrieunternehmen dazu, ihren Umgang mit Daten neu zu überdenken – und das nicht nur technisch oder rechtlich, sondern auch kulturell. Denn in vielen Unternehmen herrscht noch immer das Credo: Wissen ist Macht. Doch dieses Wissen muss nun teilweise geteilt werden, zugunsten eines größeren Ganzen.
Gleichzeitig ist klar: Nicht alles kann und darf geteilt werden. Besonders sicherheitskritische oder personenbezogene Daten unterliegen nach wie vor strengeren Schutzvorgaben. Hier wird es auf die Fähigkeit der Unternehmen ankommen, klug zu differenzieren und mit den neuen Vorgaben umzugehen, ohne sich selbst zu entblößen.
Perspektiven für den Industriestandort Europa
Trotz aller Herausforderungen liegt im Data Act auch eine Chance. Wenn es gelingt, gemeinsame Standards zu etablieren und den fairen Zugang zu Daten transparent zu gestalten, kann Europa einen digitalen Binnenmarkt schaffen, der konkurrenzfähig bleibt. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen könnten davon profitieren, indem sie Zugang zu Informationen erhalten, die bisher nur Großkonzernen vorbehalten waren.
Wichtig wird sein, dass der Gesetzgeber nicht nur reguliert, sondern auch begleitet – etwa durch Förderprogramme, praxisnahe Leitlinien und den Aufbau vertrauenswürdiger Dateninfrastrukturen.