Mit der Ankündigung der Initiative Project Crypto hat die US-Börsenaufsicht SEC Anfang August ein deutliches Zeichen gesetzt: Blockchain-Technologie soll reguliert, aber gleichzeitig in großem Stil für industrielle und wirtschaftliche Zwecke erschlossen werden. Während sich die Krypto-Märkte in den USA neu sortieren, steht Europa – und insbesondere Deutschland – vor einer komplexen Aufgabe: Schritt halten oder Standards verlieren? In Berlin, dem inoffiziellen Blockchain-Zentrum Deutschlands, sind viele Unternehmen längst voraus – doch ohne regulatorische Rückendeckung drohen zentrale Potenziale ungenutzt zu bleiben. Besonders die Industrie steht im Fokus.
Für Berlin und den deutschen Mittelstand ist das ein strukturelles Risiko: Wenn deutsche Lieferanten in internationalen Lieferketten künftig US-regulierte Blockchain-Protokolle nutzen müssen, wird nicht nur technologisches Know-how exportiert, sondern auch Einfluss verloren.
Was „Project Crypto“ bedeutet
Die am 1. August 2025 vorgestellte US-Initiative „Project Crypto“ ist ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Modernisierung der bestehenden Finanzmarktaufsicht in Bezug auf Blockchain-Technologie. Ziel ist es, regulatorische Grauzonen zu beseitigen, insbesondere für tokenisierte Vermögenswerte, Smart Contracts, dezentrale Verwahrung und digitale Infrastruktur. Neben der Definition von rechtlich sicheren Rahmenbedingungen plant die SEC sogenannte Safe-Harbor-Regelungen, die es innovativen Unternehmen erlauben, neue Blockchain-Anwendungen in einem begrenzten rechtlichen Schutzraum zu testen – ohne sofortige Sanktionen zu befürchten. SEC-Vorsitzender Paul Atkins stellte klar: „Der Präsident hat letzte Woche erklärt, dass er die Welt auf amerikanischer Technologie basieren sehen möchte. Ich bin hier, um das zu unterstützen.“Diese Aussage unterstreicht den geopolitischen Anspruch: Die USA wollen auch bei industriellen Blockchain-Anwendungen den Ton angeben.In der Folge fielen zwar kurzfristig die Kurse von XRP und Solana (unter 3 US-Dollar bzw. unter 170 US-Dollar), doch Analysten sehen in der Initiative ein Signal an Investoren: Projekte mit regulatorischer Rückendeckung könnten bald institutionell finanzierbar werden.
Tokenisierung für die Industrie – was Deutschland jetzt fehlt
Industrieunternehmen weltweit experimentieren seit Jahren mit Blockchain-Anwendungen. Dazu zählen die Tokenisierung von Maschinenverträgen, automatisierte Wartungsverträge per Smart Contract, digital verifizierte CO₂-Zertifikate oder der Herkunftsnachweis von Materialien in Lieferketten. Gerade für Deutschland mit seinem starken Maschinen- und Anlagenbau bietet die Technologie enormes Potenzial – theoretisch. Denn praktisch fehlt es bislang an einer eindeutigen rechtlichen Grundlage, wie etwa ein tokenisierter Wartungsvertrag im HGB zu behandeln ist oder welche regulatorischen Anforderungen eine Blockchain-basierte Lieferkette erfüllen muss. Zwar wurde mit der europäischen MiCAR-Verordnung Ende 2024 ein wichtiger Meilenstein erreicht. Die Verordnung schafft erstmals ein einheitliches Lizenzierungs- und Aufsichtsregime für Krypto-Dienstleister in der EU. Reguliert sind etwa Anbieter von Krypto-Wallets, ebenso wie Handelsplattformen oder Emittenten von Stablecoins wie EURAU. Viele dieser Dienste gehören zu den Top Crypto Wallets 2025 und bilden das Rückgrat eines zunehmend regulierten digitalen Finanzökosystems. Diese Anbieter unterliegen nun klaren Kapitalanforderungen, Meldepflichten und Verbraucherschutzstandards. Auch die Ausgabe und Vermarktung bestimmter Kryptowerttypen – etwa Utility Tokens – ist seither genehmigungspflichtig. Doch die Anwendung der Vorschriften ist noch begrenzt: So sind NFTs, dezentrale autonome Organisationen, DeFi-Protokolle und viele industrielle Tokenisierungslösungen bislang nicht abschließend geregelt. Gerade bei komplexeren Konstruktionen – etwa der automatisierten Abwicklung von Wartungsverträgen via Smart Contract oder der Nutzung von Blockchain in Lieferketten – fehlt es weiterhin an verbindlicher rechtlicher Klarheit. Auch die deutsche BaFin agiert in der Genehmigungspraxis nach wie vor zurückhaltend, insbesondere wenn Projekte über klassische Finanzinstrumente hinausgehen.Berlin als Blockchain-Hotspot
Berlin gilt seit Jahren als führender Blockchain-Standort Deutschlands. Projekte wie IDunion (dezentrale Identitätsverwaltung), Labfly/DiAvEn (Drohnenlogistik mit Blockchain-Tracking), PRAMOMOLECULAR (biotechnologische Anwendungen mit Lieferketten-Token) oder AFTS GmbH (Blockchain-basierte Infrastruktur für NATO-Lieferketten) zeigen, wie vielfältig und marktrelevant Blockchain-Anwendungen heute schon sind.Diese Projekte wurden 2025 mit dem Deep-Tech-Award der Berliner Senatsverwaltung ausgezeichnet – ein Zeichen für die Innovationskraft des Standorts.Doch der rechtliche Rahmen bleibt vage. Viele Berliner Startups sind darauf angewiesen, sich parallel in den USA, der Schweiz oder Dubai abzusichern – etwa durch Ausgründungen oder Lizenzierungsmodelle außerhalb der EU. Das kostet Ressourcen, Kapital und schwächt den Standort Deutschland.
Regulatorische Nährböden
Die Bedeutung von Blockchain in der Industrie wird häufig unterschätzt – dabei spielt sie längst eine Schlüsselrolle in Projekten zur digitalen Transformation. Das beginnt bei verifizierbaren Maschinennutzungsdaten, geht über Energieverbrauchs-Token für CO₂-Bilanzierung bis hin zu dezentralen, revisionssicheren Buchungsprozessen. Gerade in sicherheitskritischen Bereichen wie der Verteidigungslogistik gewinnt Blockchain stark an Bedeutung – etwa für manipulationssichere Nachweise oder dezentrale Systemstabilität. Die USA bereiten mit ‚Project Crypto‘ einen regulatorischen Rahmen vor, der solche Projekte künftig institutionell tragfähig machen soll. In Europa hingegen bleibt vieles im Experimentierstatus.
Standort unter Zugzwang
Damit Deutschland und Berlin im globalen Wettbewerb um Blockchain-Standards bestehen können, braucht es klare Schritte:- Regulatorische Sandboxen für industrielle Blockchain-Piloten
- Rechtssicherheit für Smart Contracts im B2B-Bereich
- Zertifizierbare Standards für ESG-Token und Herkunftsnachweise
- Eine koordinierte Umsetzung der MiCAR-Verordnung – mit Fokus auf Industrieanwendungen